Die widerspenstigen Konjunkturhelfer
Lange standen Notenbanken bereit um Finanzmärkte und Konjunktur zu retten. Nun werden sie vorsichtiger. Was bedeutet das für 2026? Der aktuelle Zinsausblick von ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.
Ein bisschen sind es die Geister, die sie selbst gerufen haben. In den vergangenen 20 Jahren waren die großen Notenbanken die Superhelden der Finanzmärkte und Regierungen. Wann immer eine Krise aufzog, standen vor allem die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) bereit, um mit Liquiditätshilfen, Zinssenkungen oder Anleihekäufen Finanzmärkte und Konjunktur zu retten.
Da kann es kaum überraschen, dass auch mit Blick auf das kommende Jahr und die immer noch schwächelnde Konjunktur weiterhin die Hoffnung auf Zinssenkungen besteht. Allerdings zieren sich die Notenbanken mehr als in den Jahren zuvor. Ganz werden sie sich allerdings nicht aus der Verantwortung stehlen können.
Fed und EZB in Zugzwang
In den USA steht die Fed in den kommenden Monaten weiterhin einer sich abkühlenden Wirtschaft gegenüber. Zinssenkungen sind da mehr als wahrscheinlich, um den Leitzins wenigstens auf ein neutrales Niveau von gut 3 Prozent zu bringen. Weiter runter wird es aber nicht gehen, denn der Inflationsdruck nimmt zu. Mittlerweile sind die Folgen der Zölle schon in einigen Sektoren und bei einigen Preisen zu spüren. Im kommenden Jahr werden es noch mehr sein.
Die EZB wiederholt gebetsmühlenartig, dass sie sich mit einem Leitzins von 2 Prozent in einem „good place“ befindet. Anders ausgedrückt: Mit einer Konjunktur, die zwar nicht viel, aber immerhin wächst, und einer Inflation von um die 2 Prozent gibt es nur wenig Argumente, den „good place“ zu verlassen. Allerdings wird es in den kommenden Monaten für die EZB nicht mehr ganz so lauschig sein.
Der stärkere Euro, der sich abkühlende Arbeitsmarkt, die sich nicht wirklich beschleunigende Konjunktur und Produkte, die durch die US-Zollpolitik zu Dumpingpreisen in Europa verscherbelt werden, erhöhen die Gefahr eines „Inflation Undershooting“. In so einem Szenario sind ein oder zwei Zinssenkungen nicht auszuschließen. Da aber mittelfristig nicht nur die Konjunkturpakete, sondern auch strukturelle Faktoren wie die Demographie oder die Energietransformation eher für einen Inflationsanstieg sprechen, wird sich auch die EZB vor weiteren Zinssenkungen so zieren wie die Fed.
Staatsverschuldung als Gefahr
Allerdings droht den Notenbanken noch Gefahr aus einer ganz anderen Ecke: Auch im kommenden Jahr wird die Staatsverschuldung in den Industriestaaten weiter steigen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, bei dem nicht sicher ist, ob Investoren die Geduld behalten oder nicht doch höhere Zinsen fordern, um Staatsanleihen zu kaufen. Sollte das passieren, wird der (politische) Druck auf die Notenbanken wieder zunehmen, selbst in die Bresche zu springen und neue Anleihekaufprogramme aufzulegen.
Am liebsten wäre es den großen Notenbanken, wenn alles so bliebe, wie es ist – am kurzen wie am langen Ende der Zinsstrukturkurve. Aber so sehr sie sich auch zieren mögen: Ganz ohne neue Rettungsaktionen werden sie wohl auch 2026 nicht auskommen. Für die Konjunktur oder die Regierungen. Und im schlimmsten Fall für beide.
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Der Autor
In seiner Kolumne wirft Carsten Brzeski regelmäßig einen Blick auf das aktuelle wirtschaftliche Umfeld. Brzeski ist Global Head of Macro Research der ING und seit 2013 Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich.
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